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ABBI / IMRE

24.03.2014 18:04 von Niels Sonne-Frederiksen

Ein Artikel für die Zeitschrift Országépít? über Erik Asmussen und Imre Makovecz.
link zur ungarischen PDF Version hier.

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Erik Asmussen (Abbi), 1913 - 1998, Dänemark/Schweden  und  Imre Makovecz, 1935 - 2011, Ungarn.  

Begegnungen zweier Architekten, die sich beide als organische Architekten in einer Art Schülerschaft zu Rudolf Steiner sahen und doch in ihrer jeweiligen Wesensart gewisse Polaritäten darstellen. Hierin liegt das Bemerkenswerte und das, was - so weit es gesehen und erkannt wird - von allgemeiner Bedeutung sein kann und sein wird.

 

Imre sprach nur ungarisch und Abbi am ehesten ein ver-schwedischtes Dänisch.    Äusserlich war also keine direkte Verständigungsmöglichkeit ausser durch Mimik und GestIk möglich. 

Trotzdem kam es zu Begegnungen und Auseinandersetzungen die von Bedeutung waren, sind und sein werden. Dies lag und liegt auch an uns. Es lag daran, dass über die Sprachen ihrer jeweiligen Bauten eine Begegnung und Verständigung möglich ist, möglich wird.

Wie Könige waren sie beide, jeweils von einem Hofstab umgeben, und das, was sie taten war auch nur im Zusammenspiel mit diesen Umgebungen möglich.

 

Wenn ich jetzt hier über die Begegnungen der beiden, Abbi und Imre, sprechen soll, so ist es aus dieser Perspektive. Einige Personen werden erwähnt, andere wiederum nicht, und sie waren doch agierend tätig. Dies alles haben sie aber nur tun können kraft dieser jeweiligen Umgebungen, in denen Abbi und Imre die zentralen und maßgebenden Persönlichkeiten waren.  Sie waren wie zwei große Familien.

 

Im Architekturmuseum in Stockholm wurde 1981  eine Ausstellung gezeigt mit dem Titel „Tradition und Metapher - 9 ungarische Architekten“. Unter den 9 Architekten waren auch Imre Makovecz und Andras Erdei, die zur Eröffnung angereist waren

 

Am Rudolf Steinerseminariet in Järna, ca. 50 Km südwestlich von Stockholm, befand sich das Architekturbüro von Erik Asmussen in einem alten Holzmagazin, etwas abgelegen in der Nähe vom Järnafjärden. Im gleichen Gebäude befand sich auch die Kunstausbildung von Arne Klingborg, eine Abteilung des Rudolf Steinerseminars.

Wir Architekten hatten 1/3 des Gebäudes, die Künstler von Arne die übrigen 2/3. 

Arne kam jeden Morgen zu den Kunststudenten und arbeitete mit ihnen. 

Eines Tages kam er nach dieser Morgenarbeit zu uns herüber und erzählte, dass es am  Abend in Stockholm im Architekturmuseum einen Vortrag geben würde von einem anthroposophisch/organisch arbeitenden Architekten aus Ungarn. Wir entschlossen uns mitzufahren.  Das war unsere erste Bekanntschaft mit Imre. 

 

Das, was bei mir den stärksten Eindruck machte bei Imres Vortrag in Stockholm,

waren die Bilder eines Filmes, wo zwei Menschen, ein schwarzer und ein weißer, ineinander zusammengerollt in einer Sandgrube liegen wie Yin und Yang. Das zunehmend dramatische und auch blutige Geschehen, als sie sich von einander lösen und eigene Wege gehen.

Am nächsten Tag kamen Imre Makovecz und Andras Erdei  nach Järna. Abbi war im Mittelpunkt. Arne aber war sein Fürsprecher und Miklos Lampel, ein ungarischer Architekt, der seit dem Aufstand in Budapest 1956 mit seiner Frau, einer Architektin, in Stockholm lebte, diente als Übersetzer, wie am Abend zuvor - und wie in den kommenden Jahren wiederholt

 

Der kleine Katalog der Ausstellung mit den Holzhäusern, bei denen Dach und Wand eins waren und fliessend ineinander übergingen. Kaum Fenster, oder äußerst sparsam. Monolitisch. Fremdartige aber starke Bauten. Auch Abbis  Häuser, das Eurythmiehaus zum Beispiel, hatten einen monolithischen Charakter, Dach und Wand ineinander übergehend. Imre selber wirkte wie ein monolithischer Block, eher bäuerlich. Dieses Bild sollte sich allerdings allmählich ändern.

Imre hatte die Bühne der organischen Architektur betreten - und hatte neue Klänge angeschlagen.

Wenige Jahre früher - im Jahr 1978 - bei der Ausstellung “50 Jahre Goetheanum, Rudolf Steiners Bauimpuls“, war Imre noch nicht vertreten.

 

 Im Sommer 1985 war Rex Raab in Järna. Wie immer mit Grethe, seiner Frau, zusammen.

Er wollte wieder eine internationale Architekturtagung in Järna organisieren und besprach mit Arne, wer für die Vorträge eingeladen werden sollte. Unter den Einzuladenden war auch Imre Makovecz, wie ich als Organisator erfuhr.

Über Eva und Miklos Lampel in Stockholm wurden die vorbereitenden Vereinbarungen mit Imre getroffen. Eines Tages bekam ich einen Anruf von Brit Kropelin - einer Kunststudentin aus Oslo. Sie arbeitete an einem Aufsatz über Imre Makovecz, und jetzt war sie mit Janos Gerle von Oslo nach Järna gekommen, um ihm Järna zu zeigen. Bei dieser Gelegenheit machte ich die Bekanntschaft mit Janos und erfuhr von ihm auch etwas über Imre, so z.B., dass Imre, nachdem er einen Auftrag bekommen hatte, lange Zeit wohl zunächst im Äußeren gar nichts machte, eher eine meditative innere Arbeit als Vorbereitung für den eigentliche Entwurf, Beschäftigung mit dem Ort, der Geschichte und der Geologie.

Wenn diese innere Vorbereitung an Reife gewonnen hatte, würde er sich zurückziehen in sein Büro, die Tür geschlossen. Sich Kaffee kommen lassen, Zigaretten ebenso, und dann Tag und Nacht wie in einem Feuerprozess arbeiten. Wenn er dann fertig war, kam er aus seinem Zimmer und übergab den neuen Entwurf einem jungen Kollegen für die weitere Bearbeitung. Er konnte abgeben. Wenn er seinen Teil gemacht hatte konnte er das Weitere abgeben.

 

Leider kam Imre nicht zu unserer Konferenz. Wenige Tage bevor er hätte ankommen sollen meldete er sich ab. Der Arzt hatte ihm geraten, nicht zu fliegen wegen seines hohen Blutdrucks.

Es zeigte sich unter den Konferenzteilnehmern eine spürbare Enttäuschung.

Aber Makovecz hatte seinen Vortrag in mehreren Briefen geschickt, verteilt an verschiedene Adressen, den Text selber geteilt in nummerierte Linien, sodass er nur mit einem Nummerncode zusammengefügt und gelesen werden konnte. Dieser Geistesschmuggel über den Eisernen Vorhang trug  zu einer besonderen Atmosphäre bei, als der Vortrag vorgelesen wurde. Dazu gab es auch eine kleine improvisierte Ausstellung von Projekten, die in erster Linie durch Eva und Miklos Lampel zusammengebracht wurde. Ein Votum für ein freies Ungarn in dem geteilten Europa. 

Es weckte viel Interesse und Gesprächsstoff unter den Konferenzteilnehmern.

 

Noch im Jahr der Konferenz folgte ich einer Einladung von Janos Gerle, nach Budapest zu kommen. Im Büro von Imre trafen wir auch Antony Tischhauser aus der Schweiz, der an einem Buch über Imre arbeitete. Antony stellte Fragen, Janos übersetzte, Imre antwortete und zeichnete auf einem großen Stück Papier. Der Strich kam wie aus dem Stift geflossen. Kein Zögern, kein Probieren, sicher wie fast automatisch, souverän.  Ich musste an Abbi denken. Auch er hatte einen Strich, den ich bewunderte, aber dieser war prüfend, hervortastend, immer mit einem Radiergummi bereit in der anderen Hand.

Nach einer Weile verwandelte sich der Tisch in eine „Picknickwiese“. Brot und Tomaten wurden mit einem großen Messer geteilt, Kaffee und Tee gekocht.

Im Laufe des Abends kam das Gespräch auch auf die organische Architektur, und Imre äusserte seine Abneigung zu Vielem was auf dem Gebiet der anthroposophisch- organischen Architektur zu sehen wäre. Nur zu drei Persönlichkeiten aus diesem Bereich hat er seinen vollen Respekt zum Ausdruck gebracht: Joseph Beuys, Arne Klingborg und Erik Asmussen. Dass dies der Personenkreis war, in dem Imre sich selber gesehen  hat und an dem er gemessen werden wollte, macht diese Aussage verständlich und menschlich. Ich, als jemand aus Järna, der mit einem dieser drei „Auserwählten“ zusammenarbeitete, konnte natürlich in dieser Situation nicht protestieren

Rex Raab, der sonst eine zentrale und sammelnde Rolle für die gesamte Bewegung spielte und für mich und meine Generation durchaus ein wichtiger Lehrmeister war, hat Imre in diesem Zusammenhang nicht erwähnt, obwohl er ihn zu diesem Zeitpunkt wohl schon einmal getroffen hatte.

Weil nur einer von den hier hervorgehobenen drei Bildenden Künstlern, nämlich Erik Asmussen, auch Architekt war, ist es sinnvoll, gerade diese beiden Persönlichkeiten, Imre Makovecz und Erik Asmussen,  in einer Parallelbetrachtung nebeneinander zu stellen und zu charakterisieren.

 

Bei unserem späten Abschied in lauer Spätsommernacht fragte ich Imre, ob ich Arne Klingborg und Erik Asmussen von diesem Gespräch berichten dürfe. Er guckte mich an,  .   .  legte seine Hand auf meine Schulter und sagte: „Alles was du machst ist gut!“   Also, keine eigentliche Antwort auf meine Frage, aber etwas Prinzipielles: Glaube an Dich selbst. Tu das, was in Dir lebt, das wird gut werden! Ein Rat des Meisters auf dem Einweihungsweg? Für mich in dieser Situation wurde es zu einer solchen  prinzipiellen Aussage, und ich musste wieder an Abbi denken und an seine diametral entgegengesetzte Anschauungsweise. Er hatte in seinem ganzen Leben das Zweifeln als Ideal oder Prinzip. Nicht nur wenn er zeichnete hatte er immer ein Radiergummi zur Hand. Es gehörte eigentlich auch ein Schaukelstuhl zu dieser „Ausrüstung“, und einen solchen bekam er auch, nachdem er zuerst selber viel darüber gesprochen hatte, selber diese Gedanken veredelt hatte. Nach vorne schaukeln, über den Tisch gebeugt und zeichnen. Dann nach hinten schaukeln und Abstand gewinnen, um beurteilen zu können. Wieder nach vorne und aufs Neue aktiv ansetzen. Immer wieder das zweifelnde Urteilen und das Verbessern. 

 

In den folgenden Tagen, als wir noch zu dritt, Janos, Antony und ich, einige Bauten von Makovecz  besichtigen  konnten, reifte allmählich der Initialgedanke zu dem,  was im folgenden Jahr die internationale Wanderkonferenz in Ungarn werden sollte.

 

Mit dem Entschluss und mit der Vorbereitung zur Wanderkonferenz setzte eine neue Qualität der Begegnung und Kooperation zwischen den  so diametral unterschiedlichen Architekten und Architekturbüros, Abbis und Imres, ein. Es war eine freie Initiative  über den Eisernen Vorhang hinweg.  Dass Ungarn nur ein paar Jahre später zum Schlüsselland beim Fall der Mauer (in Berlin) werden sollte, hatten wir damals nicht im Sinn, die ungarischen Freunde vielleicht eher. Wir waren davon beseelt, das zu tun, was getan werden konnte. Und in diesem Brennpunkt merkte man, dass Möglichkeiten vorhanden waren, Möglichkeiten, denen  nachgegangen werden wollte. Dies war das Wesen der Begegnung. Es war eben eine fruchtbare Begegnung, aber nicht immer eine leichte.

 

Beim ersten Abend in Stockholm, wo Imre seinen Film gezeigt hatte mit der schwarzen und der weißen Person, die wie Yin und Yang ineinander gerollt lagen .  .   .     

War das der unterbewusst wirkende Ansporn?  - Das, was im Film sich auseinander löste und zerfiel und was in der großen Welt in vieler Hinsicht sich auch so vollzogen hatte, jetzt umzukehren und die zusammengehörenden Widersprüchlichkeiten in freier Begegnung wieder zusammenzubringen in einem großen Festakt?

 

An vielen kleinen Einzelheiten waren von Anfang an und immer wieder im Prozess der Begegnung die Unterschiedlichkeiten und die Gegensätzlichkeiten ins Auge gesprungen aber es waren eben auch ein starker Gleichklang und eine Einigkeit zu beobachten.

 

Imre hatte eine steile und junge Kariere hinter sich.  Abbi dagegen eine ziemlich spät begindende. Erst mit 50 Jahren konnte er sein eigenes Büro gründen und eigene Projekte annehmen.  -

Imres Bauten sind wie große „Ohren“, die lauschend auf die Erde gerichtet sind, mit denen man hören können soll, was am Ort in der Vergangenheit geschehen ist, wie Imre es selber zum Ausdruck gebracht hat.

Abbis Bauten sind mehr wie „Augen“ für das Sonnenlicht und das Licht der Zukunft. Das Licht und die Fenster sind wichtig, wie sie die lasierenden Farben im Raum zum Leben rufen.  

 

Zwei Bedingungen wurden  aufgestellt. Imre wünschte sich, dass wir eine Ausstellung über Abbis Bauten mitbringen sollten und dass Abbi selber bei Eröffnung der Ausstellung in den Räumen des Architektenbundes in Budapest einen öffentlichen Vortrag halten sollte. 

Es sollte also eine richtige Begegnung werden. Der Katalog der Ausstellung sollte in zwei Sprachen, englisch und ungarisch, gedruckt werden. 

Die Ungarn würden ihn in Budapest übersetzen und auch drucken.

Für die Übergabe des Layout-Dokuments zum Ausstellungskatalog ergab sich die Möglichkeit, dass Imres Tochter und Schwiegersohn, mit  ihremAuto  auf dem Weg von Finnland nach Budapest an der Autobahn bei Järna vorbei fahren würden. Termin und Ort wurden verabredet und das „heilige Dokument“ wurde überreicht und so nach Budapest „geschmuggelt“.

 

Die Ausstellung selber wurde in einem Kleinbus verpackt, mit Zollpapieren ausgerüstet und so durch Europa transportiert. Jan Arve Andersen, Åke Fant und Niels Sonne-Frederiksen fuhren damit los und bauten dann auch die Ausstellung in Budapest auf.

 

Von Järna aus wurden die Übernachtungen und die Verpflegung auf der Reise organisiert. Einladungen wurden herausgeschickt, und  hier waren auch alle  Anmeldungen für die Teilnahme zusammengekommen. 

Die Reise ging von Wien aus, wo ein Doppeldeckerbus gemietet war. Hier trafen alle Angemeldeten ein, und am Sonntag den 9. August 1987 rollte der Bus von Wien nach Velem im Westen Ungarns. Um die 75 Teilnehmer waren an Bord. Es sollte sich zeigen, dass die wahre Teilnehmerzahl vielleicht die doppelte werden sollte. Während der Woche, die wir unterwegs waren, formierte sich hinter dem Bus ein wahrer Rattenschwanz von diversen Fahrzeugen, Kleinbusse, Trabbis mit Teilnehmern nicht nur aus Ungarn, sondern auch aus der DDR, aus Polen, der Tschekoslovakei, aus Rumänien und Jugoslavien - ein großer Teilnehmerkreis, für dessen Versorgung und Übernachtung von Järna aus keine Vorsorge getroffen worden war. Sie waren bei uns nicht angemeldet. Dieses Teilnehmergefälle wurde schon am ersten Abend ziemlich peinlich, als es sich zeigte, dass sogar Janos, der ja als Universalübersetzer die absolut wichtigste Person in der Gruppe war, auch keinen Übernachtungsplatz hatte. Nicht angemeldet. Wieso hatten wir nicht darüber gesprochen?

Ich kann noch heute rot werden vor Scham, wenn ich daran denke. Auch für Imre hatten wir keine Sorge getragen.   Wir waren in einem Sprachraum, dessen Sprache wir nicht beherrschten, und das Mobiltelefon war kaum vorhanden. Also mussten wir unsere Scham wegstecken so wie die Ungarn ihre Scheu und Bescheidenheit weggesteckt haben.

War das auch eine Diametralität die wir kennenlernen mussten?

Manchmal waren sie da und manchmal auch nicht. Vielleicht schliefen einige ab und zu zuhause in Budapest?

 

Die Begegnung mit Imres gebauten Projekten in Ungarn machte einen großen Eindruck. Das Verhältnis zu dem, was sonst in Ungarn gebaut wurde, die Handwerkstradition, die lokalen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse um die Kulturhäuser herum, die fantastischen Holzkonstruktionen, das Faktum, dass sie dabei so wenig Modelle bauen, die kraftvolle Ausformung und Vieles mehr. Wie war es möglich, dass Abbi und Imre, die doch so viele gemeinsame Anknüpfungspunkte in der Anthroposophie hatten, dann doch so unterschiedliche Ergebnisse erzielten?

 

Am dritten Tag kamen wir nach Budapest, und die Abbi-Ausstellung sollte abends eröffnet werden. Der Saal war proppenvoll. Abbi war in höchster Aufregung. Monatelang hatte er an seinem Vortrag gearbeitet. Das, was er nur machen würde, wenn er es nicht mehr vermeiden konnte, hatte er tun müssen. Damit der Vortrag nicht zu kurz werden sollte, hat er ihn auf dänisch gehalten (Imre sprach ja auch nur ungarisch), und so musste er ins Englisch und ins Ungarische übersetzt werden. Abbi trat also in seinen großen dänischen Holzschuhen auf das Rednerpodest in der Mitte des Saales mit seiner Schriftrolle in der Hand, die dann langsam abgerollt wurde. Er war wie der Caesar auf seinem Wagen, bereit für das große Wettrennen, oder er musste sich verteidigen vor dem Großen Rat und hatte seine Rede vorbereitet. 

Wie auch immer, es wurde überstanden, und nachher kamen die Festlichkeiten im großen Foyer, mit Rede von Imre, Sekt und Buffet. Imre führte Abbi an der großen Treppe vor die Gäste. Abbi in Holzschuhen und mit einer gewissen Scheu.

Gleichzeitig spielte sich ein anderes Drama ab. Die Ausstellung war schon einige Tage dort zu sehen, und wir hatten den Katalog noch nicht gesehen. In den Gängen und Treppen hinter dem eigentlichen Geschehen wurden die Kataloge herausgeholt und übergeben. Turi Attila und Steen Kristiansen waren dabei. 

Erst waren wir etwas enttäuscht von dem Ergebnis.

Die Umschlagseite hatte Abbi mit seinen diversen Hausmotiven vollständig ausgefüllt gezeichnet. Gedruckt war es aber verkleinert, und die Zeichnungsmotive hatten eine schwarze Umrandung.

Das, was ein sich weitendes exkarnierendes in die geistige Welt übergehendes Liniengewebe hätte sein sollen, war interpretiert als ein sich inkarnierender sammelnder Motivkreis, wie ein Pictogramm mit schwarzer Umrandung gefasst. Zwei unterschiedliche Denkrichtungen, wie diametral entgegengesetzt . Dass es solche unterschiedlichen und entgegengesetzten Intentionsrichtungen geben kann, stellt man sich erst einmal gar nicht vor. Man ist schockiert, wahrscheinlich sind beide Seiten schockiert, denn die Intentionen waren ja die allerbesten und doch war es eine Begegnung, die erst Jahre, ja Jahrzehnte später in einer aufklärenden Erkenntnis ihre Früchte trägt.

Wer waren wir? Wer war Abbi, und wer war Imre? Und wer sind wir, die mit den beiden eine Wegstrecke gehen durften?  

Die Reise ging weiter. Imre exponierte nicht seine Häuser. Er nahm uns mit und ließ uns teilhaben an seinen freundschaftlichen Beziehungen zu seinen Bauherren. Wir kamen an befriedete Orte. Wir saßen auch zusammen und sprachen über vorher beschlossene Themen. In Visegrad wurde ein Aufruf verfasst an eine Behörde, deren Umgang mit einem Bau nicht im Sinne des Architekten war. Lars Danielsson verfasste den Brief und wir alle unterschrieben.

Hier in Visegrad bekamen wir diesen überwältigenden Eindruck von der Kraft des Übens,

der gemeinsamen Schulung, die jährlich hier stattfand. In Järna hatten wir die internationalen Architektentagungen, und auch die übrigen Seminaraktivitäten trugen dazu bei, dass wir ein intensives Schulungsmilieu  hatten. Hier in Visegrad begegneten wir der ungarischen Art zu arbeiten, sich zu schulen. Das war beeindruckend. Junge Architekten die etwas wollten, und ein Meister unter ihnen, der auch etwas von diesen jungen Menschen zu erwarten wagte.

In Järna war es nicht so eindeutig. Hier kamen Lehrer aus Norwegen, Finnland, Dänemark, England, Deutschland. Es waren nicht nur die Architekten, sondern auch die Gärtner und Landwirte, die Eurythmisten, die Pädagogen, die Musiker, die Maler. Hier in Visegrad bekamen wir den Eindruck der konzentrierten Verdichtung. Wohltuend, beneidenswert.

 

Peter Rix brachte am Lagerfeuer in einem Zwiegespräch mit Imre (in welcher Sprache?) den Begriff der Meisterschule ins Rollen und Imre war sofort dabei. Peter warb  in Deutschland bei mehreren bekannten Architekten für diese europäische Idee - leider ohne Erfolg, was sehr enttäuschend war.  Wieder zuhause in Järna sagte ich: Lasst uns eine Einladung nach Makona  schicken, sonst wird nichts aus dem schönen Gedanken. Imre aber und seine „Jungs“ machten eine richtige Wanderschule in Ungarn.

Sie steigerten den Visegrader Schulungsimpuls und entwickelten diese neue Initiative.

 

Von Visegrad fuhr der Bus zurück nach Wien und die Wanderkonferenz löste sich wieder auf. 

Unsere Ausstellung ging dann nach Stuttgart, Wien, Kiel, Düsseldorf, Vejle (DK), Helsinki, Kopenhagen und Moskau, und dies war ursprünglich eine Initiative, dankenswerterweise, von Imre.

 

Die Einladung, einem Mitarbeiter aus dem Büro Makona eine Arbeitszeit im Büro Asmussen zu ermöglichen,  wurde angenommen, und es wurden solche 3 Ping - Pong Schläge hin und her daraus. Agnes Kravar aus Budapest kam als die Erste. Dann reiste Tommy Nordlander aus Stockholm nach Budapest, und Ferenc Salamin aus Budapest kam dann als der Letzte nach Järna.

 

Tommys Aufenthalt in Makona bekam eine eigene Dramatik, die fast zum Abbruch geführt hätte und doch eine sehr gelungene und erfolgreiche Begegnungssituation zwischen  Abbi und Imre darstellt. Auch dieses muss polaritätsbestimmt beschrieben werden. Imre war nicht zufrieden mit Tommys Art, sich zu benehmen. Tommy war äußerst gefordert und an der Grenze zum Aufgeben. Abbi war kaum in die Sache involviert. Steen hatte die Initiative gehabt, Tommy nach Ungarn zu schicken, obwohl Tommy die ganze Vorgeschichte nicht mitgemacht hatte und so ganz unvorbereitet nach Budapest kam. Unvorbereitet auf Imres Architektur, und auch unvorbereitet auf Imres Arbeitsweise. 

Imre war betroffen, irritiert. Agnes hat wohl in Järna angerufen und die Situation geschildert. Niels hat möglicherweise versucht, versöhnende Worte zu finden für Tommys Benehmen. 

Am Ende wurde es eine sehr gelungene Erfahrung für Tommy und damit für uns. Tommy ist nachhause gekommen und konnte eine Zeichnungskopie vorzeigen, die wir so nicht vorher gesehen hatten. Die Konstruktionszeichnung vom Turm in Paks. Wir waren stolz auf ihn.

Tommy hat seine Erfahrungen in Worte gefasst in einem sehr guten Aufsatz im Ausstellungskatalog zu Imres Ausstellung in Stockholm 1990.

 

Ferenc und Agnes waren sehr tüchtig und selbstständig. Wir konnten sie eigentlich nicht ganz auslasten mit Aufgaben, da unser Aufgabenumfang wesentlich begrenzter war, als derjenigen, den sie in Ungarn gewohnt waren. Sie waren härtere Arbeit gewöhnt, und so wichen wir aus auf Spass und Ausflüge. Agnes bekam die Aufgabe, Ungarns Geschichte grafisch auf einem DIN A4-Blatt Papier darzustellen. Unbekümmert ist sie diese Aufgabe angegangen, und wir mussten uns fragen, ob wir mit ähnlicher Präsenz unsere eigene nationale Geschichte so detailreich hätten darstellen können. Nicht nur ihr Architektenhandwerk beherrschte sie. 

 

Abbi arbeitete im gleichen Raum wie wir, nicht für sich zurückgezogen. Tagein tagaus saß er an seinem Arbeitsplatz, und wir kamen zu ihm und zeigten ihm unsere Arbeit, 

wenn wir Fragen hatten. Seine Kritik konnte er nicht gut direkt zum Ausdruck bringen, sondern viel besser indirekt über Gesichtsgrimassen und Humor. Er wirkte über das, was er nicht getan hat, über das was er nicht gesagt hat. Es ist nicht leicht, Fremde in diese Art zu arbeiten einzuweihen. Aufgenommen zu werden im Büro war eine individuelle Angelegenheit. Es gab natürlich immer wieder Menschen, die gerne bei Abbi arbeiten wollten.  Einige sind trotz längerer Zeit der „Belagerung“ damit gescheitert, und andere sind auch als Fremde hereingekommen und dann ganz unvorhergesehen ein Jahr geblieben.

In Unterschied zu Imre, der zu mir gesagt hatte: Tu das was in dir lebt, das wird gut werden, hätte Abbi eher gesagt: Wenn du zweifelst an der Qualität deiner Erzeugnisse, dann kann es eher besser werden. Mache ein Modell, und beurteile es kritisch mit deinen Augen, bevor du dann ein besseres Modell machst.

 

Wir waren von Imres Wortgewandtheit beeindruckt, liessen seine Texte ins Schwedische übersetzen und veranlassten, dass eine Sondernummer von der Zeitschrift BALDER herausgegeben wurde. Abbi war knapp im Wort. Er äusserte sich ungern in einer größeren Gesellschaft. Er schrieb wenig und nicht ganz korrekt.  Er schien all seine Geisteskraft in seine Zeichnungen zu geben, und sie sprudelten förmlich von Witz und Leben. Die gute Laune, die oft um Abbi war, wurde seiner dänischen Herkunft zugeschrieben, aber es war auch ein Sichhingeben zu dem, wozu er begabt war. Er schwamm förmlich in seinem Element.

Andere waren für andere Qualitäten zuständig. So war Arne Klingborg derjenige, der anstelle von Abbi redete. Arne war in seinem Element unter Menschen, wo geredet werden sollte.

Arne war ein Kommunikator, ein Anwalt für die Anthroposophie. Alle Menschen kamen zu ihm, um Rat zu holen, und er wusste alles, was in der Anthroposophischen Gesellschaft vor sich ging, er konnte die Fäden ziehen.

 

Was den Bauimpuls in Järna betraf, war das Besondere, dass drei Personen in einer seltenen  Funktionsrelation zueinander standen:

Arne war zuständig für alles, was kommuniziert werden sollte. Die Sphäre des Wortes und der Gedanken.

Abbi als Architekt war Meister der Gefühlswahrnehmungen, der gestalterischen Umsetzung der Entwürfe und deren künstlerischen Durcharbeitung. 

    Seine Durcharbeitung war ein DURCHFÜHLEN.

    wie es eben die Aufgabe des Architekten ist.

Åke Kumlander als Dritter war der Macher. Er hat nicht nur das Geld     

   zusammengebracht, sondern auch die Baufirmen, Handwerker und Baumaterialien.

Er repräsentierte den Willen in dem Dreierkonstellation. Ohne ih wären keine Bauten in  Järna gebaut worden.

Zusammen bildeten sie einen Organismus für das Bauen am Ort

Kraft dieser Dreigliederung, bei der die Seelenfähigkeiten Denken, Fühlen und Wollen, gewissermassen voneinander getrennt waren, konnte deren Veredelung  in Richtung: das Wahre, das Schöne und  das Gute am besten gelingen.

Diese Dreigliederung war keine kammeradschaftliche Beziehung, sondern eine karmische.

Wer es erlebt hat, konnte den Eindruck haben, dass diese Konstellation ein Zukünftiges darstellt. Man kann Ähnliches hier und da als Phänomen erleben, immer mit einem segnenden Gelingen einhergehend.

In der Ausstellung, die wir in Budapest gezeigt hatten, kam dieses zaghaft zum Ausdruck in einem Foto, aufdem alle drei zu sehen waren, Arne charakteristisch sprechend / gestikulierend.

 

Wenn ich versuche, dieses dagegen bei Imre zu charakterisieren, würde ich sagen: Imre war  der alles umfassende Meister mit einer heute sehr seltenen Souveränität, auch einer Souveränität, die das, was Abbi darstellte weitaus überstieg. Ein Phänomen, wie wir es aus vergangenen Zeiten kennen, und wir können dankbar sein, ihn kennengelernt zu haben. Er hat Maßstäbe gesetzt, Maßstäbe die möglichst weitergereicht werden sollen.

 

Mit den beiden, Abbi und Imre zusammen, haben wir das Yin und Yang, haben wir die Andeutung von einem Ganzen, das in Kurzform wie folgt beschrieben werden kann:

Abbi arbeitete vom Raumprogramm ausgehend, hat die geforderten Flchen aus Papier ausgeschnitten und aufgeklebt, eine erste grobe Skizze gemacht, dann das Blatt nummeriert (1.) und zur Seite gelegt. Weiter von vorne angefangen, eine bessere Funktionsanalyse, Neues probiert, 2. Blatt, und zur Seite gelegt u.s.w. Wie eine Pflanze ihre Blätter heraussetzt, das eine nach dem anderen entlang der Stängel von unten sich nach oben arbeitend.

So war auch Abbis Art zu schaffen. Man konnte verfolgen wie es erst reicher, komplexer wurde, dann wieder einfacher, um zum Schluss poetischer zu werden , erlöst von der Schwere der alltäglichen Funktionen. Wie die Blume, die sich förmlich in die Luft erhebt und ihren Duft verströmt - ein Frühjahrsprozess.

Imre setzte erst dort an, wo er sich in die Sphären der Motive versetzt hatte. Von hier beflügelt, setzte er in einem Feuerakt die Spuren auf das Papier. Wie  bei der Frucht- und Samenbildung in der Natur - ein Herbstprozess.

Entgegengesetzte Arbeitsrichtungen. Abbi von unten nach oben wie die Natur im Frühling, von der materiellen Funktion in die Poesie, in das Geistige. Imre von oben nach unten, aus der spirituellen Welt der Motive zu Konstruktionen und Materialien auf der Erde. Zusammen ein Zwiegespräch zwischen Himmel und Erde, zwischen Materie und Geist.

 

Eine kleine Anekdote habe ich noch bis zum Schluss aufgehoben. Ich war auf vielen Reisen unterwegs mit Abbi, in Deutschland von einem Bauherren zum anderen. Meist dann im Zug von einer Stelle zur anderen. 

Es war ein kräftiger Sturm gewesen, mit umgefallenen Bäumen, die Waldarbeiter waren im Gange mit dem Aufräumen. Das, was Abbi vom Zug aus dem Fenster im Vorbeifahren sah, veranlasste ihn zu den drei oder vier kleinen Zeichnungen, einer Art Zeichenserie, die er mir dann nachher gab, ohne Kommentar, nur mit einem Schmunzeln.

Die Zeichnungen sprechen für sich: Eine abgesägte Baumkrone liegt mit dem oberen Teil nach unten. Sie wird „eingekleidet“ mit einem Zeltüberzug, sodass ein „Haus“ entsteht mit einem umgekehrten Baum als Tragkonstruktion. Der Stammesstumpf, der oben herausguckt, wird zum Schornstein. Aus dem Zelteingang ragen zwei Beine, die Schuhnspitzen nach unten.

Aussen steht schon ein Kinderwagen. Ein Storch ist im Anflug. Die Besiedelung ist im vollen Gange.

 

Abbi hat mir diesen Skizzen gegeben, (leider finde ich sie nicht mehr), und ich habe dies  interpretiert als seine bejahende Zustimmung zu meiner Theorie über seine und Imres „Polaritätsbeziehung“ , die ich nun hier auch preisgegeben habe.

 

Hannover den 05.09.2013

Niels Sonne-Frederiksen

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